Sozialrecht - Leistungsgrenzen der Sozialversicherung

Erstellt am 14 Apr 2017 15:15 - Zuletzt geändert: 29 Aug 2019 16:06


Der gesetzliche Rahmen der medizinischen Versorgung im solidarischen Krankenversicherungssystem der Bundesrepublik Deutschland wird durch die verschiedenen Sozialgesetzbücher abgesteckt; insbesondere durch das fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V).
Das SGB V soll eine medizinische Versorgung aller sozialversicherten Bürger und Bürgerinnen sicherstellen, deren Qualität und Wirksamkeit dem aktuellen, allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht, die aber andererseits das System nicht finanziell überfordert.
Hierzu enthält das Sozialgesetzbuch V einige Paragraphen, die wie Eckpfeiler des Systems wirken:

§11 Abs. 1 SGB V legt fest, dass gesetzlich krankenversicherte Patienten grundsätzlich Anspruch haben auf Leistungen zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten.
§ 23 Abs. 1 Satz 1 SGB V regelt den Anspruch von Versicherten auf ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln als Vorsorgeleistungen.
§ 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V bestimmt weiter, dass sich der Anspruch der gesetzlich krankenversicherten Patienten nur auf solche Krankenbehandlung erstreckt, die notwendig ist, um Krankheiten zu erkennen, zu heilen, deren Verschlimmerung zu verhindern und Krankheitsbeschwerden zu lindern.
§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V grenzt diese Ansprüche weiter ein, in dem hier festgelegt wird, dass im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung nur solche medizinische Maßnahmen zur Anwendung kommen dürfen, deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnis entsprechen und die wirtschaftlich im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V sind.
Wirtschaftlich im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V sind medizinische Maßnahmen, die ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich im engeren Sinne sind und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten1.
Eine weitere Grenze oder vielmehr Richtschnur für die Versorgung gesetzlich krankenversicherter Patienten enthält § 70 Abs. 1 SGB V, der ausdrücklich die Aspekte einer humanen Krankenversorgung in fachlich gebotener Qualität gemäß wissenschaftlichem Stand betont.

Die Beschränkung auf zweckmäßige und ausreichende Leistungen, sichert einen Mindeststandard ("Leistungsabgrenzung nach unten"):
Eine Behandlung ist zweckmäßig, wenn sie ein objektives und konkretes Behandlungsziel (Verhütung, Früherkennung, Krankenbehandlung, Rehabilitation) verfolgt und auch hinreichend wirksam ist. Die Leistung muss also dem Grunde nach dazu geeignet sein, das geplante Behandlungsziel zu erreichen.
Eine zweckmäßige Behandlung ist auch ausreichend, wenn sie nach Umfang und Qualität hinreichende Chancen auf Erfolg im Sinne des Behandlungsziels hat. Mit den Kriterien der Zweckmäßigkeit und der ausreichenden Erfolgsaussicht werden solche Maßnahmen ausgeschlossen, die – ausgehend vom jeweiligen Zweck – nach allgemeiner medizinischer Meinung nicht den gewünschten Erfolg versprechen können.

Dagegen stellen die Kriterien der Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit eine Leistungsbegrenzung nach oben dar:
Notwendig ist eine Leistung, wenn ohne diese Behandlung das Behandlungsziel nicht erreicht werden kann. Auf diese Behandlung muss sich die Medizin im Rahmen des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung beschränken. Die Beschränkung der Behandlung auf das "Notwendige" entspricht einem Übermaßverbot und verdeutlicht, dass gesetzlich krankenversicherte Patienten keine Wunschmedizin beanspruchen können.
Wirtschaftlich im Sinne des Sozialgesetzbuches ist die Erbringung der erforderlichen, ausreichenden und zweckmäßigen Leistung mit dem geringstmöglichen Aufwand. Ein allgemeines Gebot der Sparsamkeit gilt generell in der öffentlichen Verwaltung; die gesetzliche Krankenversicherung stellt hier keine Ausnahme dar.

Die durch die genannten Paragraphen des SGB V abgesteckten Leistungsgrenzen gelten für alle Regelfälle der Versorgung.
Für den Bereich der Regelfallversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), welche neuen medizinischen Maßnahmen in der GKV geleistet werden dürfen und welche davon ausgeschlossen sind bzw. welche Maßnahmen nicht mehr angewendet werden dürfen.
Die Bewertungskriterien und die Vorgehensweise bei der Entscheidungsfindung des G-BA sind in der G-BA-Verfahrensordnung niedergelegt.

Vom Bundesverfassungsgericht wurde in dem so genannten Nikolaus-Beschluss festgestellt, dass es besondere Einzelfälle gibt, in denen die üblichen Leistungsgrenzen der GKV zum Schutz der Betroffenen aus grundgesetzlichen Erwägungen heraus durchbrochen werden müssen. Aufgrund dieses Beschlusses wurde später vom G-BA eine Formulierung in seiner Verfahrensordnung aufgenommen, die ausdrücklich klar stellt, dass die Richtlinien des G-BA den Regelfall regeln und auf individuellen Ausnahmefälle nicht immer anwendbar sind.

Im Sozialgesetzbuch (SGB V) wurden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts mit dem zum 1. Januar 2012 in Kraft getretenen § 2 Abs. 1a SGB V umgesetzt; so dass jetzt auch eine gesetzliche Regelung für verfassungsrechtlich zu betrachtende Ausnahmefälle in der gesetzlichen Krankenversicherung existiert.

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