PET bei Analkarzinom

Erstellt am 13 Jul 2010 15:03
Zuletzt geändert: 11 Dec 2017 13:47

Eine der vertragsärztlichen zugelassenen Indikationen für die PET liegt bei einem Analakarzinom nicht vor.

Angesichts des potentiell lebensbedrohlichen Zustandes - und unter Berücksichtigung der im Raum stehenden Fragestellung einer Operation mit ausgeprägten Konsequenzen für die Lebensqualität der Versicherten - im Falle einer unvollständigen Remission des Analkarzinoms, ist zu verweisen auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 6.12.2005, dem folgender Leitsatz zu entnehmen ist:
„Es ist mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.“

Das Bundessozialgericht, an welches der dem BVerfG-Beschluss zugrunde liegende Fall zur weiteren Beratung zurückverwiesen worden war, präzisierte am 04.04.2006 wie folgt:

„Eine Leistungsverweigerung unter Berufung darauf, dass eine bestimmte neue Behandlungsmethode im Rahmen der GKV ausgeschlossen sei, weil der Bundesausschuss diese noch nicht anerkannt hat, verstößt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegen das Grundgesetz, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:

1. Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung vor.
2. Bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung.
3. Bezüglich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine „auf Indizien gestützte nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf“ (Rdnr. 64).

Das BVerfG geht auch dann von einer fehlenden Behandlungsmöglichkeit hinsichtlich Punkt 1 aus, wenn die vorhandenen Möglichkeiten lediglich symptomorientiert sind.

Übertragen auf den hier vorliegenden Einzelfall gilt für Punkt 1, dass dieser – angesichts der aktuellen Fragestellung einer Operation mit ausgeprägten Konsequenzen für die Lebensqualität der Versicherten bei Rektumamputation mit der Folge eines dauerhaften Anus praeter – zu bejahen ist.

Hinsichtlich Punkt 2 ist festzustellen, dass anhand der vorliegenden Unterlagen nicht eindeutig festzustellen ist, ob alle vertragsärztlichen diagnostischen Verfahren ausgeschöpft sind, dass aber angesichts des Krankheitsbildes nicht davon ausgegangen werden kann, dass eine anerkannte, vertragsärztlich zugelassene Methode mit gleichem medizinischen Nutzen im vorliegenden Einzelfall zur Verfügung steht.

Zu Punkt 3 wurde eine ausführliche Literaturrecherche durchgeführt, in der medizinischen Datenbank MedLine, der HTA Datenbank des DIMDI, den AWMF-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten zum Analkarzinom sowie auf internationalen HTA-Organisationsseiten im Internet.

Es fanden sich in der aktuellen Literaturrecherche keine randomisierten, kontrollierten Studien, die den Einsatz einer PET-CT-Untersuchung im Vergleich zu anderen anerkannten bildgebenden Verfahren zur Diagnostik bei unklarem posttherapeutischem Status eines Analkarzinoms mit patientenrelevanten Enddaten (Mortalität, Gesamtüberleben, progressionsfreies Überleben) untersuchten.

Es wurde jedoch ein HTA-Bericht des britischen National Coordinating Centre for Health Technology Assessment (NCCHTA) vom November 2007 gefunden, in dem mehrere neue Primärstudien sowie systematische Reviews ausgewertet werden.
Dieser HTA-Bericht betrachtet das anorektale Karzinom nicht spezifisch, jedoch als Teil der Gruppe der distalen colorektalen Karzinome. Für diese Tumoren sieht der HTA Hinweise aus der wissenschaftlichen Datenlage, dass der Behandlungserfolg mittels PET sicherer beurteilt werden kann als mit konventionellen Bildgebungen.
Die Qualität der Studien wurde in diesem HTA-Bericht insgesamt als gering bis mäßig eingestuft, und es wurde geraten, den Einsatz von PET-CT auf Situationen zu begrenzen, wo dieser Einsatz zu einem substanziellen Gewinn für den Patienten in Form eines geänderten therapeutischen Managements führen kann.

Eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit (Fletcher et al. 2008) macht keine differenzierten Aussagen zum Analkarzinom, empfiehlt die PET-CT jedoch beim colorektalen Karzinom für das so genannte „Staging“, also die Bestimmung des Krankheitsstadiums. Für die Anwendung der PET-CT in dieser Indikation sehen die Autoren mittelgradige Evidenz für einen positiven Einfluss auf die weitere Therapie, insbesondere bei der Fragestellung einer geplanten Operation. Besonders hilfreich sei die PET beim colorektalen Karzinom zur Vermeidung unnötiger Operationen und zur Beurteilung, wenn die CT allein nicht weiter helfe.

Dem „Kompendium für internistische Onkologie“ von H. J. Schmoll u. a. aus 2006 sowie den aktuellen Leitlinien zur Behandlung des Analkarzinoms des National Cancer Institute der USA konnten noch folgende weitere Informationen entnommen werden:
Im Mai 2007 erschien eine australische Studie von R. Tasevski, E. de Winteon et al. Diese Arbeitsgruppe untersuchte insgesamt 62 Patienten mit Analkarzinom in einem Zeitraum von August 1997 bis November 2005. Die Diagnostik erfolgte konventionell (das heißt mit CT oder MRT) und FDG-PET.
Alle Patienten wurden längerfristig nachkontrolliert. In 23% der Fälle wurde aufgrund der PET-Untersuchung ein zur konventionellen Diagnostik differentes Tumorstadium festgelegt (in 15% höheres, in 8% niedriges Tumorstadium). In 16% der Fälle änderte sich das therapeutische Vorgehen durch die Ergebnisse der PET-Diagnostik. Bei 38% der Patienten mit einem Tumorstadium T3 bis T4 beeinflussten die Ergebnisse des PET den Lymphknoten- oder Fernmetastasenstatus. Die Sensitivität des PET für den Lymphknotenbefall wurde mit 92%, die Spezifität mit 100% angegeben. Die Vergleichswerte für die konventionelle Diagnostik lagen bei 72% bzw. 99,5%.

In der Medline-Datenbank wurde eine weitere aktuelle Studie zum Analkarzinom gefunden (Schwarz 2007). In dieser Studie wurden 53 konsekutive Patienten mit Analkarzinom prä- und posttherapeutisch mittels PET-CT untersucht. Die Patienten wurden mindestens zwei Jahre nach der letzten PET-Untersuchung beobachtet. Dabei konnte festgestellt werden, dass die Zweijahres-Überlebensrate bei den Patienten mit einem Komplettremissionbefund im PET-CT bei 94% lag, während sie bei den Patienten mit Aktivität (verstärkte Aufnahme des Radionuklids), bzw. unvollständiger Remission, in der PET-Darstellung bei 39% lag. Der statistische Signifikanzwert wird mit p = 0.0008 angegeben, es handelt sich somit um ein Ergebnis, das statistisch gut gesichert ist.
Die Studie wurde nicht randomisiert und kontrolliert durchgeführt, doch liefert sie Hinweise auf eine Aussagefähigkeit der PET zur Beurteilung des Therapiewirksamkeit, die den konventionellen Methoden überlegen ist.

Für die kombinierte PET-CT-Untersuchung beim Analkarzinom wurden in der Literaturrecherche nur sehr wenige Quellen gefunden, was damit erklärt werden kann, dass es sich insgesamt um ein seltenes Krankheitsbild handelt.
Die gefundenen Daten liefern Hinweise darauf, dass diese Technologie einen Zusatznutzen im Staging/Re-Staging sowie in der Therapie-Erfolgskontrolle beim Analkarzinom einnehmen könnte.

Wenn auch die wissenschaftliche Datenlage nicht ausreicht, um einen Routineeinsatz des PET beim Analkarzinom zu begründen, so lässt sich doch im hier begutachteten Einzelfall ein wahrscheinlicher Nutzen für die Versicherte erkennen.

Zusammenfassung:

Abschließend bleibt festzuhalten, dass die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen die hier vorliegende Indikation zur Durchführung eines PET-CT nicht umfassen.

Unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 ist auf Hinweise in der wissenschaftlichen Literatur zu verweisen, aus denen sich ein medizinischer Nutzen für die hier in diesem Einzelfall vorliegende Situation mit der Fragestellung einer letztlich mutilierenden, die Lebensqualität nachhaltig verändernden operativen Therapie eines Analkarzinoms ableiten lässt.

Die wissenschaftliche Datenlage der letzten Jahre lässt einen diagnostischen Zugewinn des beantragten Untersuchungsverfahrens PET-CT für Fallkonstellationen wie den hier vorliegenden Einzelfall erkennen mit Ableitung einer wesentlichen Entscheidungshilfe zur Frage eingreifender therapeutischer Maßnahmen. Es kann anhand dieser Hinweise aus der wissenschaftlichen Literatur davon ausgegangen werden, dass für Betroffene eine anerkannte Behandlungsmethode mit gleichem Nutzen nicht vorliegt.

Literatur:

Bibliography
1. Facey K, Bradbury I, Laking G, Payne E. Overview of the clinical effectiveness of positron
emission tomography imaging in selected cancers. Health Technol Assess 2007;11(44).
2. Fletcher JW, Djulbegovic B, Soares HP, Siegel BA, Lowe VJ, Lyman GH, Coleman RE, Wahl R, Paschold JC, Avril N, Einhorn LH, Suh WW, Samson D, Delbeke D, Gorman M, Shields AF. Recommendations on the use of 18F-FDG PET in oncology. J Nucl Med. 2008 Mar;49(3):480-508.
3. Schwarz JK, Siegel BA, Dehdashti F, Myerson RJ, Fleshman JW, Grigsby PW. Tumor response and survival predicted by post-therapy FDG-PET/CT in anal cancer. Int J Radiat Oncol Biol Phys. 2008 May 1;71(1):180-6. Epub 2007 Nov 8.

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