Dendritische Zelltherapie

Erstellt am 15 May 2010 16:41
Zuletzt geändert: 09 Feb 2021 11:27

Abgrenzung / Begriffsklärung / Synonyme

Bei der Methode „dendritische Zelltherapie“ handelt es sich um einen Methoden-Oberbegriff. Im Detail unterscheiden sich die Protokolle der Herstellung und Anwendung beträchtlich.

Prof. Bernd Jahrsdörfer, Transfusionsmediziner der Uni-Klinik Ulm, forscht seit vielen Jahren an dendritischen Zellen und erklärte 2017 gegenüber der Online-Zeitung Südwesten:

"Wissenschaftliche Aussagen über den Erfolg solcher Therapien lassen sich nur sehr begrenzt machen."

In dem Artikel vom 26.09.2017 heißt es weiter:

Ein Hauptproblem sieht er darin, dass das Gros der Präparate sehr schwer vergleichbar sei. "Der Herstellungsprozess differiert extrem. Jeder Hersteller hat eigene Methoden und Qualitätsstandards etabliert."

  • Anwendungen dendritischer Zellen lassen sich grundsätzlich danach unterscheiden, ob und mit welchem Erkennungsmerkmal (den Tumor charakterisierendes Peptid, Antigen, "Tumorigen" oder "Immunogen") die dendritischen Zellen für die Therapie "beladen" oder "geprimt" oder "gepulst" werden, wie und unter welchen Umständen die "Bindung" der Antigene an die dendritischen Zellen konkret realisiert wird - oder ob auf eine Antigenbeladung gänzlich verzichtet wird .
  • Weiterhin existieren spezielle Anwendungsvarianten, z. B. unter Nutzung von Viren als zusätzlichen Immunaktivatoren oder auch Kombinationen mit anderen Immunzellen.
  • Es existieren Anbieter von "Tumorimpfungen" in Deutschland, die dendritische Zellen verwenden, ohne diese in eine spezifische, den jeweiligen Tumor gezielt bekämpfende Form zu überführen.

Beschreibung / Funktionsprinzip / Hintergrund

Die Funktion der dendritischen Zellen im Immunsystem besteht natürlicherweise darin, den so genannten "Effektorzellen" des Immunsystems Erkennungsmerkmale für "Feinde" wie z. B. Bakterien oder Tumorzellen zu präsentieren, damit diese die "Feinde" leichter erkennen und eine zielgerichtete Immunaktivität entfalten können.

Eine kurze Erklärung findet sich auf den Informationsseiten des Krebsinformationsdienstes beim DKFZ.

Die meisten Anwendungen dendritischer Zellen geschehen im Groben nach folgendem Prinzip:
Vorläufer der dendritischen Zellen werden durch eine Blutentnahme gewonnen, in mehreren Schritten gereift und aktiviert. Zur Herstellung einer tumorspezifischen Vakzine werden diese Zellen dann durch Zusammenbringen mit Tumorbiomarkern der Patienten oder mit anderen Immunogenen "ausgebildet" und anschließend den Patienten mittels Injektion oder Infusion wieder zugeführt.

Bewertung der allgemeinen Evidenz

Eine einheitliche Methode, die auch einheitlich hinsichtlich Risiken und Wirksamkeit zu bewerten wäre, existiert nicht.

Der Enthusiasmus der Vertreter dieses therapeutischen Ansatzes ist groß. Bereits Anfang des Jahrtausends wurde eine zunächst international als Durchbruch der Forschung gefeierte Arbeit einer Göttinger Arbeitsgruppe in der Zeitschrift "Nature Medicine1" publiziert. Aufgrund grober wissenschaftlicher Fehler und nicht ausräumbarem Fälschungsverdacht wurde diese Publikation im Jahr 2003 von den Autoren offiziell zurückgezogen2

Die ausgesprochen lange Zeitdauer der wissenschaftlichen Aufarbeitung und Klärung, die bis zur endgültigen Rücknahme der Publikation verging, war Anlass zu einem Kommentar der Herausgeber von Nature Medicine3

Nach nunmehr rund drei Jahrzehnten intensiver Forschung existieren lediglich für einige wenige, gemäß spezieller Herstellungs- und Anwendungsprotokolle angewendete Zubereitungen dendritischer Zellen, Daten aus kontrollierten klinischen Studien, welche auf ein - für die geprüften Indikationen und im Vergleich zu den jeweils geprüften Vergleichstherapien - günstiges Nutzen-Risiko-Profil hindeuten:

In den USA war 2010 der erste dendritische Tumorimpfstoff (Provenge®) zentral zugelassen worden; eine Zulassung zentral für Europa erfolgte wenig später. Dieses "Pionier-Produkt" mit der Bezeichnung Provenge® oder "Sipuleucel-T", wurde mitsamt der Herstellerfirma Dendreon Anfang Februar 2015 von der Firma Valeant Pharmaceuticals übernommen. In diesem Zusammenhang erfolgte die Rückgabe der europäischen Zulassung durch die Herstellerfirma Dendreon. Die Rücknahme der Zulassung durch die EMA erfolgte mit Datum vom 19.05.2015. Seither besteht in Europa für diesen Tumorimpfstoff keine Zulassung mehr.
Für weitere dendritische Tumorimpfstoffe wurden im zentralen europäischen Verfahren bislang lediglich Anerkennungen für eine weitere Erforschung und ggf. spätere Zulassung als ("Arzneimittel für seltene Leiden") beantragt und in einigen Fällen wurde eine Anerkennung für Dendritische-Zell-Präparate bei der EMA als Orphan Drugs ausgesprochen.

In Deutschland wurde für ein dendritisches Tumorimpfstoff-Produkt (DCVax-L) eine nationale Zulassung zur Anwendung in der adjuvanten Therapie des Glioms bei erwachsenen Patienten (Erstdiagnose oder Rezidiv) nach Tumorresektion und Standardtherapie durch das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) erteilt.

Prinzipiell ist festzuhalten, dass nur für Zellprodukte, die bereits ein Zulassungsverfahren erfolgreich durchlaufen haben, Daten aus klinischen Studien sowie Daten zur Beurteilung der Herstellungsqualität ein positives oder zumindest akzeptables Nutzen-Risiko-Verhältnis belegen.

Für dendritische Zelltherapie-Zubereitungen, die als Eigenentwicklungen außerhalb von Studien vertrieben werden, sind in der Regel keine Einzelheiten zu wichtigen Punkten der Herstellungs- und Anwendungsprotokolle veröffentlicht. Ein Vergleich mit bereits im Rahmen einer Zulassung - oder zumindest der Anerkennung als ("Orphan Drug") - geprüften und positiv bewertenten Präparaten ist bei undokumentierten Labor-Eigenentwicklungen nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich.

Bei Anwendungen dendritischer Zellen unter Verzicht auf die Zugabe eines Faktors zur Förderung der gezielten Tumorerkennung ist vor dem Hintergrund aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse ein relevantes Risiko für mögliche Krankheitsverschlimmerung/Beschleunigung des Tumorzellwachstums anzunehmen und eine solche Behandlung stößt daher auf Sicherheitsbedenken:
Verschiedene Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass dendritische Zellen das Tumorwachstum gerade fördern können (4,5,6,7,8).

Legalstatus

  • Es handelt sich generell um eine Arzneitherapie vom Typ der Advanced Therapy Medicinal Products (ATMP). Für Arzneimittel dieses Typs bestehen gesonderte Regelungen der Zulassung und Herstellung. Eine Herstellungserlaubnis ist auch für individuelle Heilversuche erforderlich.
  • Anwendungen dendritischer Zellen können ggf. als so genannte "Neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode" (NUB) im Sinne des Sozialrechts einzuordnen sein, da ihnen jeweils ein eigener theoretisch-wissenschaftlicher Hintergrund zugrunde liegt.
  • Ärzte, die dendritische Zelltherapien zur Krebsbehandlung als Privatleistung anbieten, nutzen die Notsituation lebensbedrohlich kranker Menschen aus. Sie nehmen in Kauf, dass die Patienten – oder deren Hinterbliebene – mit den Kosten belastet werden.
  • Ärzte, welche dendritische Zelltherapien zur Krebsbehandlung in großem Umfang anwenden, schädigen indirekt Anbieter bzw. Hersteller, die ihre Produkte unter Beachtung der Regeln für eine gute Forschungs- und Herstellungspraxis (Additional Monitoring) entwickeln.
  • Darüber hinaus können mögliche Patientenschäden nicht systematisch erfaßt werden und Schutzbestimmungen für Patienten in klinischen Studien finden keine Berücksichtigung.
  • Hinsichtlich regelmäßiger, bei einer Vielzahl von Patienten durchgeführter Behandlungen mit dendritischen Zelltherapien ist aus Sicht des Patientenschutzes die Frage zu stellen, ob eine solche gehäufte Anwendung eines nicht zugelassenen ATMPs, ausschließlich auf der Grundlage einer behördlich erteilten Herstellungserlaubnis gemäß gesetzlicher Regelungen, als im Einklang mit den Regelungen des Arzneimittelgesetzes zum Patientenschutz sowie den internationalen Regelungen der "Guten klinischen Praxis" (Good Clinical Practice) angesehen werden kann.
  • Gemäß BSG-Urteil vom 18.05.2004 (Az. B1 KR 21/02 R, Randziffer 29) kann "aus verbotswidrigem Handeln grundsätzlich keine Leistungspflicht der Krankenkasse erwachsen".

Qualität

Die Herstellung von Impfstoffen unter Nutzung dendritischer Zellen stellt außerordentliche Anforderungen an die Qualitätssicherung und Dokumentation aller Prozesse. Im Falle des vormals sowohl in den USA als auch in Europa zugelassenen Produkts Provenge® traten immer wieder Lieferschwierigkeiten aufgrund von Problemen im Qualitätsmanagement bzw. der Produktqualität auf9.

Eine klinische Anwendung dendritischer Zell-Impfstoffe in nicht für die Anwendung bei einer größeren Patientenzahl geprüfter, und nicht für eine Methodenbewertung ausreichend dokumentierter Qualität; lediglich auf dem Boden einer Herstellungserlaubnis, gewährleistet keine Qualität der Arzneimittelversorgung, wie sie unter Berücksichtigung des Qualitätsgebotes der GKV und auch speziell bei lebensbedrohlich Erkrankten im Hinblick auf § 2 Abs. 1a SGB V zu fordern ist.

Alternativen

In vielen Fällen, in denen Patienten aufgrund einseitiger Information durch entsprechende Behandler/Anbieter dendritischer Zelltherapien Anträge auf Kostenübernahme bei ihrer Krankenkasse stellen, zeigt sich bei genauer Betrachtung der Krankengeschichte, dass die vorhandenen vertragsärztlichen Behandlungsoptionen nicht oder nicht rechtzeitig oder nicht ausreichend genutzt wurden und ggf. noch zur Verfügung stehen. Hier ist insbesondere auf die vorhandenen qualitativ hochwertigen Leitlinien der AWMF zu verweisen.

Patienten mit einem metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinom, die eine immunologische Therapie mit einem Tumorimpfstoff als therapeutische Option favorisieren, können derzeit (Juli 2016) auch auf die klinische VIABLE-Studie hingewiesen werden.

Quellen

Weblinks


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