Medizinischer Dienst (der Krankenversicherung)

Erstellt am 07 Sep 2015 23:42 - Zuletzt geändert: 24 Mar 2022 10:19

Aufgaben des Medizinischen Dienstes (Zusatz "der Krankenversicherung" seit MDK-Reformgesetz nicht mehr Namensbestandteil!)

Der Medizinische Dienst soll die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen mit medizinischer und pflegerischer Kompetenz beraten.
Diese Aufgabe wurde auch von dem bisherigen Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK) sicherlich stets gewissenhaft erfüllt. Ob die Änderung der Bezeichnung "Medizinischer Dienst der Krankenversicherung" bzw. "MDK" in "Medizinischer Dienst" durch das so genannte MDK-Reformgesetz eine Änderung an der Identifikation und dem bisherigen Selbstverständnis des "MD(K)" als Bestandteil des Systems der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen bewirken wird, bleibt abzuwarten.

Aufgaben des Medizinischen Dienstes

Von einem früheren Leitenden Arzt eines großen Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung wurden die Aufgabe und das Produkt der Arbeit des MDK aphoristisch kurz folgendermaßen umschrieben: "Sozialer Frieden".

Im fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) werden unter anderem folgende Aufgaben des Medizinischen Dienstes genannt:

Auf der Grundlage von § 275 SGB V sollen die Krankenkassen entscheiden, welche Fragen sie dem Medizinischen Dienst zur sozialmedizinischen Prüfung vorlegen. Dabei geht es in der Regel um Einzelfall-Leistungsanträge gemäß der Absätze 1 bis 3 des § 275 SGB V und um die Feststellung, ob die medizinischen Voraussetzungen für bestimmte Leistungen im Einzelfall vorliegen.
§ 275 Abs. 4 SGB V definiert weitere Aufgaben, die die Medizinischen Dienste für die Krankenkassen übernehmen können: Beratung der Kassen zu allgemeinen medizinischen Fragen der gesundheitlichen Versorgung und Beratung der Versicherten, Fragen der Qualitätssicherung, Vertragsverhandlungen mit den Leistungserbringern und Beratungen der gemeinsamen Ausschüsse von Ärzten und Krankenkassen.
Diese Beratungsfelder haben in der alltäglichen praktischen Arbeit des MDK keine spürbare Bedeutung.
Laut (auch aktuell gültiger) Gesetzesformulierung können die Kassen für die genannten Aufgaben auch "andere Gutachterdienste" beauftragen, was sie vermutlich vorrangig tun - falls sie zur Bearbeitung dieser Fragen überhaupt eine externe Expertise in Anspruch nehmen. Jedenfalls den Medizinischen Dienst beauftragen die Krankenkassen in der Regel nicht mit entsprechenden Beratungen.

Strukturen und Organisation des MDK vor Inkrafttreten des so genannten MDK-Reformgesetzes ("Gesetz für bessere und unabhängigere Prüfungen")

Aus § 278 Abs. 1 SGB V in der vor dem 01.01.2020 gültigen Fassung ergab sich, dass der MDK in jedem Bundesland als eine Arbeitsgemeinschaft organisiert war, deren Mitglieder die Krankenkassen waren. Gemäß § 281 Abs. 1 SGB V in der vor dem 01.01.2020 gültigen Fassung finanzierten die Träger der Arbeitsgemeinschaften den MDK. Sie bestimmten gemäß § 281 Abs. 1 SGB V in der vor dem 01.01.2020 gültigen Fassung auch die Zusammensetzung des Verwaltungsrates beim jeweiligen MDK. Die Mitglieder der Verwaltungsräte der einzelnen Medizinischen Dienste waren (und sind) überwiegend hauptamtlich Beschäftigte der Krankenkassen.
Die Verwaltungsräte hatten gegenüber Gutachtern keine Befugnis zu Einzelweisungen. Ein Verwaltungsrat konnte jedoch gemäß § 280 Abs. 1 Ziff. 4. SGB V (in der, vor dem 01.01.2020 gültigen Fassung) Richtlinien aufstellen, die allgemein wertende Regelungen enthielten und eine allgemeine "Richtung" der Begutachtung vorgaben. Dabei hatte der Verwaltungsrat die Richtlinien und Empfehlungen des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen/GKV-Spitzenverbandes nach (damaligem) § 282 Abs. 2 SGB V (in der, vor dem 01.01.2020 gültigen Fassung) zu berücksichtigen.
Zwar bestimmte Abs. 5 des § 275 SGB V in der, vor dem 01.01.2020 gültigen Fassung: "Die Ärzte des Medizinischen Dienstes sind bei der Wahrnehmung ihrer medizinischen Aufgaben nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen. Sie sind nicht berechtigt, in die ärztliche Behandlung einzugreifen."
Die im Gesetz verankerte Konstruktion des MDK trug aber nach Meinung von Kritikern dessen ungeachtet dazu bei, dass die Medizinischen Dienste der Krankenkassen sich in ihrer Tätigkeit an den institutionellen Interessen der Krankenkassen ausrichteten. (Siehe hierzu beispielsweise einen Beitrag au den Verdi-Webseiten mit der Überschrift "MDK: Im Zweifel gegen den Patienten?")

Eine Besonderheit regelte auch § 279 Abs. 5 SGB V (alte, vor dem 01.01.2020 gültige Fassung). Dort hieß es: "Die Fachaufgaben des Medizinischen Dienstes werden von Ärzten und Angehörigen anderer Heilberufe wahrgenommen; der Medizinische Dienst hat vorrangig Gutachter zu beauftragen."

Diese Vorschrift führte in der Vergangenheit zu unterschiedlichen Interpretationen. Hierzu hatte der Verwaltungsgerichtshof Hessen mit Beschluss vom 26.04.1994 (Az.: TL 2815/93) erklärt, dass diese Regelung die gesetzlichen Mitbestimmungsrechte der Personalvertretung nicht aufhebt:

Dem Mitbestimmungsrecht des Antragstellers steht die gesetzliche Regelung in § 279 Abs. 5 SGB V nicht entgegen. Danach werden die Fachaufgaben des Medizinischen Dienstes von Ärzten und Angehörigen anderer Heilberufe wahrgenommen; der Medizinische Dienst hat vorrangig Gutachter zu beauftragen. Die Vorschrift ist dahin zu verstehen, daß vorrangig externe Gutachterinnen und Gutachter zu beauftragen sind. Wäre die vorrangige Beauftragung von bei dem MDK beschäftigtem ärztlichem Personal gemeint, würde die Vorschrift etwas Selbstverständliches regeln und wäre daher überflüssig; davon kann jedoch nicht ausgegangen werden.
Die Vorschrift enthält keine abschließende Regelung, die dem Dienststellenleiter jede Entscheidungsmöglichkeit nimmt. Nur dann bestünde kein Raum für eine Beteiligung des Personalrats. …
Der Senat verkennt nicht, daß es wenig praktikabel sein dürfte, in jedem Einzelfall der Vergabe eines Gutachtenauftrags ein Mitbestimmungsverfahren durchzuführen, zumal der Antragsteller seine Zustimmung nur unter Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme mit einer Begründung zu verweigern berechtigt wäre, die der gesetzlichen Regelung in § 279 Abs. 5 SGB V Rechnung trägt. Dem Mitbestimmungsrecht des Antragstellers kann jedoch dadurch genügt werden, daß der Beteiligte die Vergabe von Gutachten durch Erlaß einer allgemeinen Dienstanweisung dezidiert regelt und hinsichtlich dieser Dienstanweisung ein Mitbestimmungsverfahren durchführt, das die sonst für jeden einzelnen Gutachtenauftrag erforderlich werdenden Mitbestimmungsverfahren ersetzt.

Die Vorschrift in § 279 Abs. 5 SGB V in der, vor dem 01.01.2020 gültigen Fassung ist mit dem MDK-Reformgesetz entfallen!

Politische und wissenschaftliche Diskussion zur Rolle, Struktur und Aufgaben des MDK

2018

Das Internetportal "Gerechte Gesundheit" berichtete mit Datum vom 02.07.2018 über den MDK-Kongress in Berlin 2018 und einen Vortrag des parlamentarischen Staatssekretärs im BMG, Dr. Thomas Gebhart (CDU). Dieser habe die übergeordnete Organisationsstruktur des MDK in Bezug auf die fachliche Unabhängigkeit thematisiert. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) sehe eine Umstrukturierung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) als erforderlich an. Es seien "… Änderungen an den Organisationsstrukturen erforderlich, um die Unabhängigkeit der Institution zu stärken. …"1
Den Einschätzungen aus dem BMG wurde von Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands und Dr. Volker Hansen, Verwaltungsratsvorsitzender des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS), deutlich widersprochen. Beide sahen keinen Anlass für grundsätzliche Kritik oder Veränderungen; Verbesserungsbedarf im Detail bestehe aber grundsätzlich immer.

2017

Mit Datum vom 01.06.2017 veröffentlichte der Bundesrechnungshof seinen Bericht über den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung. Diesem war unter anderem folgendes zu entnehmen:

Bei Beauftragung privater Begutachtungsunternehmen mit der Prüfung von Krankenhausabrechnungen konnte mitunter nicht nachvollzogen werden, welche Personen als Gutachterinnen und Gutachter auftraten. Etwaigen Interessenkonflikten dieser Personen konnten die Medizinischen Dienste nicht nachgehen. Dies kann eine unabhängige Begutachtung gefährden. Das BMG ist aufgefordert, dem entgegenzusteuern.

In der Deutschen Apotheker-Zeitung wurde im September 2017 darüber berichtet, dass das Bundesgesundheitsministerium sich wegen anhaltender Kritik für eine Stärkung der Medizinischen Dienste einsetzen wolle: DAZ.online vom Berlin - 26.09.2017: "BMG will Medizinischen Dienst stärken".

Der Bericht des Bundesrechnungshofes 2017 wurde von Prof. Stephan Sell von der Hochschule Koblenz in seinem Blog "Aktuelle Sozialpolitik" am 1. Oktober 2017 kommentiert: Wenn sogar der Bundesrechnungshof mehr und nicht weniger fordert: Die Medizinischen Dienste der Krankenkassen (MDK) als unterfinanziertes Nadelöhr?.

2016

Im Jahr 2016 erstellte das Institut für Public Health und Pflegeforschung (IPP) der Universität Bremen im Auftrag des AOK - Bundesverbandes ein Gutachten:

Das Gutachten enthält unter anderem folgende Aussagen:

Die Potenziale des MDK in der tief gestaffelten fachlichen Kompetenz könnten möglicherweise besser ausgeschöpft werden, wenn die bei der Gründung des MDK hoch eingeschätzte Funktion der Systemberatung wieder stärker betont würde. Seine Kenntnisse könnten vor allem im Bereich der Qualitätssicherung intensiver genutzt werden. Diskutiert werden muss die Tatsache, dass der MDK in der Vertragsgestaltung praktisch keine Rolle spielt. Im Bereich der Selektivverträge ist eine Beteiligung des MDK offenkundig explizit unerwünscht.
Ein letzter Aspekt: Der MDK soll die Kassen befähigen, auf dem Stand des jeweils aktuellen medizinischen Wissens entscheiden zu können. … ist nun aber nicht mit dem Nachschlagen in einem noch so umfassenden und aktuell gehaltenen Almanach der modernen Medizin zu verwechseln. Sie gewinnt ihre Brisanz de facto neben dem unverzichtbaren Rückgriff auf die Bewertung der publizierten Literatur immer auch in der Auseinandersetzung mit der Medical Community: den Fachgesellschaften, Berufsverbänden und ihren Unterstützern. … Dass hierbei das Hinwirken auf das Notwendige in der Medizin auch beinhaltet, Schaden von Versicherten abzuwenden, soweit Unter-, Über- oder Fehlversorgung im Spiele ist, wird bei der Würdigung der Arbeit des MDK in der Regel nicht gesehen. Es wäre eine vornehme Aufgabe weit jenseits von kurzgedachten Marketingüberlegungen, diese wichtige Funktion eines Medizinischen Dienstes der Krankenkassen datenbasiert stärker in die öffentliche Aufmerksamkeit zu bringen.

Indirekte Auswirkungen der Tätigkeit des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen auf die Versorgung:

Aus Sicht vieler niedergelassener Ärzte tragen Anfragen der Krankenkassen und des MDK zu einer überbordenden Bürokratie und hieraus resultierendem Verlust an Zeit und Energie für die reale Patienten-Behandlung bei, so z.B. die Internetpräsentation "Rettet den Hausarzt" der Hausärztin Susanne Blessing.

Unabhängigkeit der MDK-Gutachter im juristischen Urteil

In einem Verwaltungsgerichtsverfahren des Thüringer OLG wurde mit Beschluss vom 22.08.2016 - 6 W 66/16 ein Gutachter des MDK im Streit zwischen Pflegeheim und Krankenkasse als befangen abgelehnt. Siehe hierzu auch Kommentar bei Rechtsanwalt Philip Christmann.

Unabhängigkeit der MDK-Gutachter im Urteil von Teilnehmern des Gesundheitswesens

Eine kritische Darstellung zur Frage der Unabhängigkeit des MDK findet sich auf den Webseiten des Bundesverband unabhängiger Pflegesachverständiger und PflegeberaterInnen e.V.

Der Berufsverband Psychosoziale Berufe (DGVT-BV) e.V. berichtete im Jahr 2014 über eine Fernsehsendung in der Reihe "Report" Mainz vom 4. Februar 2014 mit dem Titel "Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDK) - Im Zweifel gegen den Patienten". In der Reportage wurden insbesondere im Hinblick auf die Zusammensetzung der MDK-Verwaltungsräte Zweifel an der Unabhängigkeit des MDK geäußert. Es wurde unter anderem der Sozial- und Gesundheitsrechtler Prof. Ingo Heberlein zitiert, der in diesem Zusammenhang äußerte, dass er "die Besorgnis der Befangenheit gegen den MDK durchaus für begründbar" halte.

Im Jahr 2013 berichtete der professionelle News-Dienst des Haufe-Verlages unter dem Titel Kassen lehnen zu viele Leistungsanträge ab über Statistiken des Medizinischen Dienstes und entsprechende Stellungnahmen des Sozialverbands VdK und der (damaligen) Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD).



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