Genehmigungsfiktion

Erstellt am 08 Oct 2016 23:51 - Zuletzt geändert: 05 Mar 2018 00:11

Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 08.03.2016 (Az. B 1 KR 25/15 R) erstmals höchstrichterlich die Wirkung der Genehmigungsfiktion des Patientenrechtegesetzes, wie es in § 13 Abs. 3 a SGB V Ausdruck findet, bei einem Fristversäumnis der Krankenkasse konkretisiert.

"Der Kläger beantragte hinreichend bestimmt die Gewährung einer Psychotherapie als Langzeittherapie im Umfang von 25 Sitzungen. Damit die Leistung im Rechtssinne nach Ablauf der Frist als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Entsprechend den allgemeinen, in § 42a VwVfG [] normierten Grundsätzen [] gilt "eine beantragte Genehmigung … nach Ablauf einer für die Entscheidung festgelegten Frist als erteilt …, wenn dies durch Rechtsvorschrift angeordnet und der Antrag hinreichend bestimmt ist". Da der Verwaltungsakt nicht erlassen, sondern fingiert wird, muss sich der Inhalt der fingierten Genehmigung aus dem Antrag in Verbindung mit den einschlägigen Genehmigungsvorschriften hinreichend bestimmen lassen []. Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33 Abs 1 SGB X hinreichend bestimmt ist []."

Gemäß § 13 Abs. 3 a SGB V muss eine Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen grundsätzlich binnen drei nach Antragseingang entscheiden - bzw. innerhalb von 5 Wochen, wenn der MDK eingeschaltet wird. Entscheidet die Krankasse nicht innerhalb dieser Frist, ohne dem Antragsteller hierfür Gründe mitzuteilen, tritt die so genannte Genehmigungsfiktion ein. Diese bewirkt formalrechtlich, dass ein Kostenerstattungsanspruch der Antragstellerin oder des Antragstellers automatisch besteht.
Das BSG hat in der Entscheidung vom 08.03.2016 (Az. B 1 KR 25/15 R) konkretisiert, dass Krankenkasse bei Nichteinhaltung der Frist die Antragsteller unter Angabe von hinreichenden Gründen taggenau über die Verzögerung schriftlich informieren muss. Falls die Verzögerung andauert, muss die Kasse rechtzeitig ein weiteres Mal taggenau schriftlich informieren.
Die Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs. 3 a SGB V führt nach der Auslegung des BSG nicht nur zu einem Kostenerstattungsanspruch, sondern auch zu einem Naturalleistungsanspruch. Zur Begründung führte das BSG aus, dass Versicherte, die sonst nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, ihren Anspruch nur über den Naturalleistungs- bzw. Sachleistungsanspruch realisieren können. Die BSG-Richter führten in der Urteilsbegründung aus, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des § 13 Abs. 3 a SGB V im Falle der nicht fristgerechten Entscheidung faktisch das Risiko auf die Krankenassen habe verlagern wollen, was der Tatsache Rechnung trage, dass die Krankenkassen stets Herrin des Verwaltungsverfahrens seien und die Versicherten auf die Leistungen angewiesen sind.
Eingegrenzt wurde die Genehmigungsfiktion durch das BSG dahingehend, dass sie nur für Leistungen gelte, die "nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung" liegen. Zudem müsse die Leistung aus medizinischer Sicht zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung erforderlich sein.
Das BSG nahm auch Stellung dazu, wie lange eine fiktive Genehmigung in einem Fall nach § 13 Abs. 3 a SGB V wirksam bleibt: Die (fiktive) Genehmigung gilt solange, wie auch ein ausdrücklicher Verwaltungsakt wirksam bliebe. Ein solcher kann – soweit die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen (begünstigender Verwaltungsakt) – zurückgenommen oder widerrufen werden oder durch Zeitablauf enden. Letzteres ist der Fall, wenn eine befristete Übernahme beantragt wird oder aber eine Heilung eintritt.
Die fiktive Genehmigung kann aber nicht einfach durch verspätete Ablehnung der Leistung aufgehoben werden. Dazu heißt es in dem Urteil:

"Zu Unrecht beruft sich die Beklagte darauf, der Kläger sei deshalb nicht "schutzbedürftig", weil ihm vor Selbstverschaffung der genehmigten Therapiemaßnahmen die ablehnende Entscheidung der Beklagten zugegangen und seine Therapeutin Kenntnis vom Begutachtungsergebnis erlangt habe. Die fingierte Genehmigung schützt den Adressaten dadurch, dass sie ihre Wirksamkeit ausschließlich nach den allgemeinen Grundsätzen über Erledigung, Widerruf und Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts verliert. Ihre Rechtmäßigkeit beurteilt sich nach der Erfüllung der oben aufgezeigten Voraussetzungen (§ 13 Abs 3a SGB V), nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs. Die spätere Mitteilung der ablehnenden Entscheidung der Beklagten und die Information der Therapeutin über das Gutachten lassen die Voraussetzungen der Genehmigungsfiktion unberührt; die Ablehnung der Leistung regelt weder ausdrücklich noch sinngemäß, weder förmlich noch inhaltlich eine Rücknahme oder den Widerruf der fingierten Genehmigung (vgl hierzu §§ 45, 47 SGB X)."

Das BSG erwähnte in seinem Urteil allerdings, dass "geänderte Umstände, die die Genehmigung im Zeitpunkt der Beschaffung entfallen ließen", denkbar sind. Solche müssten aber von der Kasse nachgewiesen werden:

"In diesem Sinne ist die Beklagte entgegen der Auffassung des Klägers nach Fristablauf nicht mit allen Einwendungen gegen die fingierte Genehmigung ausgeschlossen. Geänderte Umstände, die die Genehmigung im Zeitpunkt der Beschaffung entfallen ließen, hat indes weder das LSG festgestellt noch sind sie sonst ersichtlich."



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