Nahrungsmittel mit Arzneicharakter

Erstellt am 23 Aug 2015 13:42
Zuletzt geändert: 18 Oct 2022 20:47

Nach der Arzneimittelrichtlinie (AM-RL) Abschnitt I

  • sind Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel, so genannte Krankenkost und diätetische Lebensmittel einschließlich Produkten für Säuglinge oder Kleinkinder von der Versorgung zu Lasten der GKV ausgeschlossen.
  • Dies gilt nicht für Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung (so genannte Produktgruppen), soweit sie nach den Bestimmungen der AM-RL in medizinisch notwendigen Fällen ausnahmsweise verordnungsfähig sind.

Ausführungen zur Definition der, im Regelfall richtlinienkonform verordnungsfähigen Produktgruppen, der medizinischen Notwendigkeit und zu Produktspezifikationen (Standard- und Spezialprodukten) finden sich in der Arzneimittelrichtlinie.

Eine verständlich formulierte Darstellung kann in der Pharmazeutischen Zeitung vom 17.01.2011 unter dem Titel "Trinknahrungen: Aus dem All ans Krankenbett" nachgelesen werden.

Eine ausnahmsweise Verordnungsfähigkeit von Stoffen, die sowohl als Nahrungsergänzungsmittel als auch als Arzneimittel erhältlich sein können, ergibt sich übrigens nur für die Arzneimittel-Varianten aufgrund von § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V dann, wenn eine ausreichende medizinische Begründung auf dem Rezept vermerkt wird. Konkret lautet § 31 Abs. 1 Satz 4 SGB V:

"Der Vertragsarzt kann Arzneimittel, die auf Grund der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 von der Versorgung ausgeschlossen sind, ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen."

Nahrungsergänzungsmittel

In der Arzneimittelverschreibungsverordnung, Anlage 1, sind - neben quasi "eindeutigen" Arzneimitteln - auch Stoffe aufgeführt, die Nahrungsergänzungsmittel sein können, aber unter Umständen auch (wie Vitamin D und Zink bei Überschreitung bestimmter Tagesdosen) als Arzneimittel rezeptpflichtig sind.
In der Nahrungsergänzungsmittel-Richtlinie (Richtlinie 2002/46/EG) ist vorgesehen, dass für Vitamine und Mineralstoffe, die in Nahrungsergänzungsmitteln enthalten sind, Höchstmengen gesetzlich festgesetzt werden. Die Kriterien zur Festsetzung solcher Höchstwerte sind im Prinzip bereits in der Verordnung enthalten.
Bislang (mehr als 10 Jahre nach Verabschiedung der Richtlinie) steht aber eine gesetzlich normierte Festsetzung solcher Höchstmengen aber noch aus, weil eine Einigung auf europäischer Ebene über konkrete Höchstmengen noch nicht gelungen ist.
Konkret finden sich unter den laut § 3 NemV zugelassenen Stoffen nur Vitamine und Mineralien; denn die Richtlinie 2002/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Juni 2002 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Nahrungsergänzungsmittel, (PDF) definiert als Nährstoffe nur Vitamine und Mineralstoffe. Daher enthält auch die Aufzählung der Stoffe im Anhang I der Richtlinie 2002/46/EG des Europäischen Parlaments nur Vitamine und Mineralstoffe.
Voraussetzung für eine Registrierung gemäß § 1 Nahrungsergänzungsmittel-Verordnung (NemV) ist es unter anderem, dass die Nahrungsergänzungsmittel

  • dazu bestimmt sind, die allgemeine Ernährung zu ergänzen,
  • in dosierter Form, […] in abgemessenen kleinen Mengen in den Verkehr gebracht werden.

Die Health-Claims-Verordnung regelt, welche gesundheitsbezogenen Angaben in der Werbung für ein Nahrungsergänzungsmittel zulässig sind; zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden dürfen Nahrungsergänzungsmittel nicht beworben werden. Eine gute Übersicht der Unterschiede zwischen Nahrungsergänzungsmitteln und Arzneimitteln im Hinblick auf werbliche Aussagen präsentiert das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) auf seinen Webseiten.

Laut Auskunft des Lebensmittelverband Deutschland e. V. (ehemals Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e. V.) obliegt es derzeit in Deutschland den Herstellern von Nahrungsergänzungsmitteln, die Sicherheit und Unbedenklichkeit ihrer Produkte im Hinblick auf die Dosierung der verwendeten Vitamine und Mineralstoffe zu garantieren.

Die Verbraucherzentrale informiert, dass es für Pflanzenzubereitungen wie Aloe vera, Goji oder Noni sowie für sekundäre Pflanzenstoffe und Fettsäuren - und damit auch für Pflanzenextrakte mit Cannabidiol - noch keine gesetzlichen Regelungen gibt.
Daneben informiert die Verbraucherzentrale auch darüber, dass zunehmend Produkte nicht als Nahrungsergänzungsmittel, sondern als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (ergänzende bilanzierte Diäten) vermarktet werden.

Es gab bislang in Deutschland schon eine Vielzahl von juristischen Auseinandersetzungen zu Abgrenzungsfragen zwischen Nahrungsergänzungsmitteln und Arzneimitteln bzw. zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bei Produkten mit strittiger Einordnung, z.B. hinsichtlich des Nahrungsergänzungs-/Arzneimittels Melatonin:

Zu dieser Problematik hatte das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) am 14.06.1996 eine Meldung mit folgender Überschrift herausgegeben: Melatonin als Arzneimittel zulassungspflichtig - Empfehlung der Bundesinstitute erfolgt dosisunabhängig.
Hintergrund war, dass Melatonin trotz einer Einstufung durch das BfArM, wonach es sich bei Melatonin in allen Dosierungen um ein Arzneimittel handelt, aufgrund einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein vom 20.08.1998 (Az. 2 L 46/98) weiterhin als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben wurde.
Der damaligen Stellungnahme des BfR war folgendes zu den rechtlichen Rahmenbedingungen zu entnehmen:

Melatonin in isolierter und konzentrierter Form aus pflanzlichen Lebensmitteln dient weder der Ernährung oder dem Genuß, noch besteht ein Bedarf im Sinne eines lebensnotwendigen Mikronährstoffes. Damit ist Melatonin als Nahrungsergänzungsmittel nach Ansicht des BgVV nicht verkehrsfähig. … BfArM und BgVV halten eine abschließende Nutzen-Risiko-Bewertung für zwingend erforderlich.
Die endgültige Entscheidung über die Einstufung von Melatonin obliegt den Überwachungsbehörden der Bundesländer. Sie kontrollieren die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und damit die Verkehrsfähigkeit der Produkte einschließlich ihrer gesundheitlichen Unbedenklichkeit.
Um auch den Direktvertrieb solcher Präparate unterbinden zu können, ist es erforderlich, daß sich die zuständige europäische Kommission in Brüssel für eine einheitliche Beurteilung in den europäischen Ländern einsetzt.

Eine Regelung durch die Europäische Kommission ist hinsichtlich der Einstufung von Nicht-Vitaminen und Nicht-Mineralstoffen in Nahrungsergänzungsmitteln bislang nicht erfolgt.

Auf der Webseite DRM Legal des Rechtsanwaltes Dr. Florian Meyer findet sich eine Sammlung von Urteilen zur Abgrenzung von Medizinprodukten, Arzneimitteln und "Funktionsarzneimitteln", psychoaktiv wirksamen Pflanzen sowie Kosmetika.
Dr. Latté vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat am 19. September 2016 einen Vortrag zu den Problemen der Abgrenzung zwischen Arzneimitteln, Medizinprodukten und speziellen Lebensmitteln aus Sicht der Überwachungsbehörde gehalten. Die Folien dieses Vortrags können hier online angesehen werden. Auf den Webseiten des BfArM finden sich auch Erläuterungen zu Abgrenzungsfragen.

Produkte zur enteralen Ernährung

Nach § 31 Abs. 5 SGB V haben Versicherte Anspruch auf bilanzierte Diäten zur enteralen Ernährung, wenn eine diätetische Intervention mit bilanzierten Diäten medizinisch notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat in der Arzneimittelrichtlinie (AM-RL) Abschnitt I festgelegt, unter welchen Voraussetzungen welche bilanzierten Diäten zur enteralen Ernährung vom Vertragsarzt verordnet werden können.


Der Begriff bilanzierte Diät (mit den Unterbegriffen ergänzende bilanzierte und/oder vollständige bilanzierte Diät) ist in der Diätverordnung (DiätV) definiert.

Danach sind bilanzierte Diäten diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke, die
"…auf besondere Weise verarbeitet oder formuliert und für die diätetische Behandlung von Patienten bestimmt sind. Sie dienen der ausschließlichen oder teilweisen Ernährung von Patienten mit eingeschränkter, behinderter oder gestörter Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechslung oder Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel oder bestimmter darin enthaltener Nährstoffe oder ihrer Metaboliten oder der Ernährung von Patienten mit einem sonstigen medizinisch bedingten Nährstoffbedarf, für deren diätetische Behandlung eine Modifizierung der normalen Ernährung, andere Lebensmittel für eine besondere Ernährung oder eine Kombination aus beiden nicht ausreichen."

Vollständige bilanzierte und ergänzende bilanzierte Diäten weisen beide eine
"Nährstoff-Standardformulierung" oder "für bestimmte Beschwerden spezifische oder für eine bestimmte Krankheit oder Störung angepasste Nährstoffformulierung" auf.

Vollständige bilanzierte Diäten können bei Verwendung nach den Anweisungen des Herstellers die einzige Nahrungsquelle für Personen, für die sie bestimmt sind, darstellen.
Ergänzende bilanzierte Diäten dagegen eignen sich nicht für die Verwendung als einzige Nahrungsquelle.

Vollständige bilanzierte Diäten dürfen gewerbsmäßig nur hergestellt und in Verkehr gebracht werden, wenn sie die in Anlage 6 der Diätverordnung (DiätV) aufgeführten Stoffe enthalten (also alle aufgeführten Stoffe) und den dort festgelegten altersabhängigen Anforderungen entsprechen.
Ergänzende bilanzierte Diäten dürfen gewerbsmäßig nur hergestellt und in Verkehr gebracht werden, wenn der Gehalt an den Stoffen der Anlage 6 der Diätverordnung (DiätV) die dort aufgeführten Höchstmengen nicht überschreitet (sie müssen dabei nicht alle aufgeführten Stoffe enthalten) und den dort festgelegten altersabhängigen Anforderungen entspricht.

Für die Herstellung bilanzierter Diäten bedarf es einer Genehmigung, die für eine bestimmte Betriebsstätte erteilt wird.
Wer eine bilanzierte Diät als Hersteller oder Importeur in den Verkehr bringen will, hat dies dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit anzuzeigen.

Bilanzierte Diäten dürfen nur mit einer Gebrauchsanweisung in den Verkehr gebracht werden, sofern diese für die sachgerechte Zubereitung, Verwendung und Lagerung des Lebensmittels nach Öffnen der Fertigpackung erforderlich ist.


Es gibt keine Auflistung aller im Verkehr befindlichen bilanzierten Diäten und die Produkte ändern sich zum Teil sehr schnell in ihrer Zusammensetzung unter Beibehaltung des Namens, so dass es in der Begutachtung schwierig sein kann, die Zusammensetzung eines Produktes und seiner Zuordnung als vollständige bzw. ergänzende bilanzierte Diät und seine Zusammensetzung nachzuvollziehen.

Bewährt hat sich die Suche auf der Internetseite des Herstellers und den dort ggf. hinterlegten Produktinformationen und
Gebrauchsanweisungen.

Gelegentlich hilft auch eine Suche auf der Internetseite des Diätverbandes (Bundesverband der Hersteller von Lebensmitteln für eine besondere Ernährung), wobei aber immer die Aktualität und Korrektheit der Angaben überprüft werden müssen.

Einen schönen Überblicksartikel zur Problematik der "Trinknahrungen" veröffentlichte die Zeitschrift APOTHEKE ADHOC am 10.07.2020 Trinknahrung – wann zahlt die Krankenkasse.


Siehe auch in diesem Wiki:

Weblinks:


Alle Darstellungen medizinischer Sachverhalte, Erkrankungen und Behinderungen und deren sozialmedizinische Einordnung und Kommentierungen hier im Wiki dienen nicht einer "letzt begründenden theoretisch-wissenschaftlichen Aufklärung", sondern sind frei nach Karl Popper "Interpretationen im Licht der Theorien."
Zitat nach: Bach, Otto: ''Über die Subjektabhängigkeit des Bildes von der Wirklichkeit im psychiatrischen Diagnostizieren und Therapieren''. In: Psychiatrie heute, Aspekte und Perspektiven, Festschrift für Rainer Tölle, Urban & Schwarzenberg, München 1994, ISBN 3-541-17181-2, (Zitat: Seite 1)
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