Individualimport-Arzneimittel

Erstellt am 21 Aug 2015 21:15
Zuletzt geändert: 01 Aug 2022 12:17

Grundsätzlich haben gesetzlich Krankenversicherte in Deutschland gemäß § 31 SGB V Anspruch auf die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln (soweit diese nicht gemäß § 34 SGB V oder durch eine Richtlinie gemäß § 92 SGB V ausgeschlossen sind).

Als weitere Voraussetzung für eine Leistungspflicht der GKV wird die Zulassung durch die, für den deutschen Arzneimittelmarkt zuständigen Zulassungsbehörden (EMA, BfArM bzw. PEI) gesehen.
Nicht durch das BfArM oder PEI national in Deutschland - oder durch die EMA im zentralisierten europäischen Zulassungsverfahren für den europäischen Markt insgesamt - zugelassene Fertigarzneimittel sind in Deutschland formal nicht verkehrsfähig.

( => Suche nach zugelassenen Medikamenten bei der EMA
Wenn man sich schnell darüber informieren will, ob ein Arzneimittel überhaupt in Deutschland zugelassen ist, kann auch eine Recherche über PharmNet.Bund - öffentlicher Teil der Datenbank AMIS/AMICE hilfreich sein!)

Gemäß § 73 Abs. 1 AMG dürfen zulassungs- oder registrierungspflichtige Arzneimittel in die Bundesrepublik Deutschland (=Geltungsbereich des AMG) nur verbracht werden, wenn sie hier zugelassen, nach § 21a AMG genehmigt, registriert oder von der Zulassung oder der Registrierung freigestellt sind. Darüber hinaus bestimmt §73 Abs.1 Satz 1 Nummer 1, dass die betreffenden Arzneimittel nur an Empfänger ausgeliefert werden dürfen, die pharmazeutischer Unternehmer, Großhändler oder Tierarzt oder eine Apotheke oder ein nach dem Apothekengesetz mit Arzneimitteln versorgtes Krankenhauses sind - allerdings wird dieser Empfängerkreis §73 Abs.1 Satz 1 Nummer 1a, auf "einfache Verbraucher" erweitert, wenn diese eine Bestellung bei einer europäischen Versandapotheke aufgegeben haben.

Gemäß § 73 Abs. 3 AMG dürfen aber formal in Deutschland nicht verkehrsfähige ("nicht zum Verkehr im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassen, registriert oder von der Zulassung oder Registrierung freigestellt"), einzeln importierte Arzneimittel legal in geringen Mengen auf besondere Bestellung einzelner Personen - und nur auf ärztliche oder zahnärztliche Verschreibung - durch Apotheken beschafft und an Verbraucher abgeben werden. Allerdings gilt dies nach §73 Abs.3 Satz 1 Nummer 3, nur dann, wenn kein "hinsichtlich des Wirkstoffs identisches und hinsichtlich der Wirkstärke vergleichbares Arzneimittel für das betreffende Anwendungsgebiet" in Deutschland zugelassen und im Handel verfügbar ist.
Darüber hinaus dürfen nach §73 Abs.3 Satz 1, in Deutschland nicht zugelassene/nicht verkehrsfähige Arzneimittel immer legal aus dem Ausland importiert werden, wenn dies "in angemessenem Umfang, […] zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Versorgung der Patienten [eines] Krankenhauses notwendig ist."

Eine Sonderkonstellation sind hier zentral im europäischen Verfahren zugelassene Arzneimittel. Hierzu gab es in der Deutschen Apotheker Zeitung vom 24.01.2019 einen interessanten Artikel. Auch die Zeitschrift Apotheke-Adhoc thematisierte die Einzel-Import EU-weit zugelassener Arzneimittel am 20.05.2019.

Ein Arzneimittel-Individualimport darf nicht zu einem Verstoß gegen das Arzneimittelrecht führen; dies gilt unabhängig von der Frage der Leistungspflicht der GKV!

Bezüglich der Leistungspflicht der GKV für einzelimportierte Arzneimittel ist die auf dem Bundesverfassungsgerichtsbeschluss vom 06.12.2005 aufbauende BSG-Rechtsprechung ab dem 04.04.2006 ( B 1 KR 7/05 R; Tomudex-Urteil) zu berücksichtigen. Hiernach besteht eine Leistungspflicht der GKV für einzeln importierte, weder national in Deutschland noch durch die EMA im zentralisierten europäischen Verfahren zugelassene Arzneimittel nach § 73 Abs. 3 AMG, wenn

  1. eine lebensbedrohliche, regelmäßig tödliche oder andere akut notstandsähnliche Erkrankung vorliegt,
  2. keine anerkannten schulmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und
  3. für die beabsichtigte Arzneimitteltherapie auf Indizien gestützte Hinweise für eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf positive, spürbare Einwirkung auf den Behandlungsverlauf oder auf Heilung vorliegen.

Darüber hinaus sollte hinsichtlich der Therapie mit einem im Einzelfall importierten Arzneimittel

  • a. Bezogen auf den konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bei Abwägung von Chancen und Risiken der voraussichtliche Nutzen überwiegen.
  • b. Die - in erster Linie fachärztliche - Behandlung auch im Übrigen den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend durchgeführt und ausreichend dokumentiert werden.

Neben einer Prüfung der allgemeinen, arzneimittelrechtlichen Vorraussetzungen ist für eine Leistungsentscheidung der GKV im Einzelfall zu prüfen, ob die Voraussetzungen des SGB V für einen Leistungsanspruch - ggf. auch unter Berücksichtigung des § 2 Abs. 1a SGB V - vorliegen. Dies schließt eine Überprüfung aller für die Arzneiversorgung relevanten Regelungen des SGB V ein, wie z. B. die Regelungen nach § 34 SGB V zu apothekenpflichtigen Arzneimitteln und die Bestimmungen bezüglich unwirtschaftlicher Arzneimittel).


Hinweise zum Vorgehen in der Begutachtung zu einzelimportierten Arzneimitteln nach § 73 Abs. 3 AMG und nähere Einzelheiten finden sich in der Begutachtungsanleitung zu einzelimportierten Arzneimitteln nach § 73 Abs. 3 Arzneimittelgesetz (PDF) des Medizinischen Dienstes des GKV-Spitzenverbandes (MDS).


Die in der Begutachtungsanleitung zu einzelimportierten Arzneimitteln aufgeführten Kriterien kommen nicht zum Ansatz, wenn ein EU-weit (im zentralen europäische Zulassungsverfahren bei der EMA) zugelassenes Fertigarzneimittel entsprechend § 73 Abs. 1 AMG aus dem Ausland nach Deutschland verbracht wird.

Mit Einführung der (frühen) Nutzenbewertung nach § 35a SGB V tritt diese Situation gelegentlich auf, wenn nach fehlender Anerkennung eines Zusatznutzens durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (s.a. G-BA - Nutzenbewertung nach §35a SGB V und Übersicht der Wirkstoffe) EU-weit - und damit eigentlich auch in Deutschland - zugelassene Fertigarzneimittel von pharmazeutischen Unternehmern aus wirtschaftlichen Gründen nicht in den deutschen Markt gebracht oder aus diesem zurückgezogen werden.
Die europaweit erteilte Zulassung besteht unabhängig von den Ergebnissen der frühen Nutzenbewertung aber in Deutschland weiter. Daher handelt es sich bei entsprechenden Arzneimitteln, wenn sie aus dem Ausland bezogen werden, nicht um Import-Arzneimittel im Sinne der Begutachtungsanleitung des MDS.

Auch gelten die Kriterien für einzeln importierte Arzneimittel nicht für Re- und Parallelimporte, da es sich bei diesen (ebenfalls) um in Deutschland zugelassene Arzneimittel handelt.

WebLinks

Siehe auch in diesem Wiki

  • Zulassungsinformationen - Artikel mit Links auf Datenbanken europäischer Zulassungsbehörden sowie weiteren Informationsportalen.

Alle Darstellungen medizinischer Sachverhalte, Erkrankungen und Behinderungen und deren sozialmedizinische Einordnung und Kommentierungen hier im Wiki dienen nicht einer "letzt begründenden theoretisch-wissenschaftlichen Aufklärung", sondern sind frei nach Karl Popper "Interpretationen im Licht der Theorien."
Zitat nach: Bach, Otto: ''Über die Subjektabhängigkeit des Bildes von der Wirklichkeit im psychiatrischen Diagnostizieren und Therapieren''. In: Psychiatrie heute, Aspekte und Perspektiven, Festschrift für Rainer Tölle, Urban & Schwarzenberg, München 1994, ISBN 3-541-17181-2, (Zitat: Seite 1)
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